Strategien für die Zukunft

„Mama, was ist ein Büro?“

Wie Corona unsere gebaute Umwelt nachhaltig verändern wird

von Hadi A. Tandawardaja

 

Galten bislang die Veränderung des Klimas, der demographische Wandel und die Globalisierung als die größten Treiber für die Veränderung unserer Umwelt und Gesellschaft, so wird die Pandemie rückblickend sicherlich gleichbedeutend sein. Und sie wird uns entgegen der vorgenannten Faktoren mit deutlich unmittelbareren Auswirkungen konfrontieren.

 

Seit dem vergangenen Jahr befinden wir uns im Home-Office Modus. Und die meisten Statistiken, so zum Beispiel die Statistiken aus dem Research Report zur Verbreitung und Auswirkung von mobiler Arbeit und Homeoffice des IZA (Institute for Labor Economics) im Auftrag des  Bundesministeriums für Arbeit zeichnen schon jetzt ab, dass bei all den Einschränkungen, der Ruf nach dieser einen neu gewonnen Freiheit zu mehr Selbstbestimmung bei der Wahl des Arbeitsortes wird immer lauter werden wird.

 

Arbeiten wird in Zukunft also anders aussehen. Aber wie?

Um dies zu beantworten reicht es nicht Schlagworte wie „New Work“ und das „Büro der Zukunft“ zu bemühen. Auch werden Unternehmen nicht von heute auf morgen dadurch agil, dass sie sich Bildern junger Mitarbeiter*innen, die mit dem Laptop auf dem Schoss und dem Cappuccino in der Hand auf bühnenbildartigen Holztreppen sitzen, hingeben. Es wird für Unternehmen auch nicht hinreichend sein die lichtgrauen Schreibtische und bestenfalls schwarzen Plastikdrehstühle durch poppiges Mobiliar, das eher Assoziationen mit einer Kita erweckt, zu ersetzen, um dieses Bild dann medienwirksam auf ihrer Website zu platzieren.

 

Vielmehr stehen wir als Gesellschaft vor einer ganzen Reihe zu lösender Aufgaben.

Das Entstehen einer veränderten neuen Arbeitswelt wird sich auf weite Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Wirtschaft, den Handel bis in den privaten Wohnbereich auswirken. Der Wandel erfordert grundlegend strukturelle Weichenstellungen. Die Etablierung wirklich neuer Arbeitswelten bedingt einen gesamtheitlichen Blick auf die Zusammenhänge:

 

Wie sehen die bisherigen Büroflächen in Zukunft aus, welche Entwicklungspotenziale steckt in Ihnen und wie können diese sinnvoll genutzt werden, wenn mobile Arbeit und Homeoffice zum gängigen Modell werden?

Wie verändern sich in der Folge die Anforderungen an den privaten Wohnraum? Wenn wir zunehmend von überall arbeiten, wird es auch Auswirkungen auf die Gastronomie oder den Handel haben und welchen Einfluss hat „remote work“ dann darauf wie diese Typen in der Zukunft aussehen werden? Wie kann der Anspruch auf individuelle Gestaltbarkeit des Arbeitsalltags auf der einen Seite und auf Produktivität auf der anderen Seite in Einklang gebracht werden? Wie geht man mit den sozialen Kontakten um die das Büroumfeld bisher ermöglichte? Wo bleibt die Identifikation mit den Unternehmen?

 

Schließen wir die Augen und stellen uns vor: in den Städten sind Spielplätze und Grünflächen entstanden, wo einst graue Parkplatzflächen das Straßenbild prägten. Urbanes Wohnen ist wieder bezahlbar und aus Schlafstädten an der Peripherie sind belebte Wohnorte geworden. Die Kleinstädte und Dörfer strukturschwacher Landstriche prosperieren und sind zu Leben erwacht.

 

Konzerne haben sich mittlerweile ihrer starren Strukturen entledigt und ihre einstigen Bürostandorte für eine gemischte Nutzung aus Arbeiten, Wohnen und Handel geöffnet. Ihre Mitarbeiter arbeiten dezentral von Zuhause oder aus den über die Stadtviertel und das Land verteilten kleineren Unternehmenseinheiten - nennen wir sie „Office hubs“ - familiäre Orte der Kommunikation an denen sich die Menschen aus einer oder mehreren Firmen begegnen. Sie sind auf dem Weg in die neue Arbeitswelt entstanden, in der Homeoffice und komplett mobile Arbeit erlaubt sein werden und haben sich mittlerweile als feste Größe etabliert. Firmen und Mitarbeiter erkennen, dass das dezentrale Modell entgegen anfänglicher Zweifel sogar einen Zugewinn an Gemeinschaft und Identifikation erzeugt. Mitarbeiter schätzen das dort entstehende soziale Miteinander und Arbeitgeber profitieren von einem rechtssicheren Rahmen, einen beiläufigen Marketingeffekt durch Omnipräsenz und sichern sich Vorteile im Recruiting ihrer Mitarbeiter. Kleinere Unternehmen werden diesen Schritt im Wettbewerb um Fachkräfte ebenfalls gehen und sich auf das Angebot eines wachsenden Coworking-Segments stützen.

 

Die Menschen arbeiten nunmehr wohnortnah, lange Wege zur Arbeit in die großen Konzernzentralen und Büros innerhalb oder in die Städte und Ballungszentren gehören schon lange der Vergangenheit an. Sie nutzen anstelle des Autos das Fahrrad oder gehen zu Fuß zur Arbeit. Sie haben mehr Freizeit und verbringen mehr Zeit mit Ihrer Familie. Neue, den persönlichen Bedürfnissen angepasste Lebensmodelle, lassen sich mit der nun gewonnenen geographischen Freiheit realisieren. Junge Familien profitieren von günstigerem Baugrund abseits der Städte und müssen im Gegensatz zu früher keine beruflichen Nachteile dafür in Kauf nehmen. Ballungszentren und Großstädte werden entlastet - der Pendelverkehr ist rückläufig, der Flächendruck nimmt ab, Wohnraum wird wieder bezahlbar. Der ländliche Raum erfährt gleichzeitig eine Renaissance - Leerstand wird genutzt, überalterte Gemeinden erfahren eine gesunde Verjüngungskur und neu angesiedelte Betriebe schaffen Arbeitsplätze und stärken strukturschwache Regionen. Die Lebensqualität steigt.

 

Betrachtet man aktuelle Umfragen und Statistiken so ist diese Vision keine Utopie, sondern ein sehr wahrscheinliches Szenario.  

 

Unternehmer sind jetzt gefordert sich im eigenen Interesse mit der nachhaltigen Entwicklung ihrer Firmen auseinanderzusetzen und zu erkennen, dass sich hinter „Agilität“ vielmehr gelebte Kultur und wirtschaftliches Potenzial als ein trendiges Schlagwort verstecken.

Unternehmerisches Handeln braucht jetzt vor allem eines: Beweglichkeit. Sie erfordert den nüchternen Blick auf die Tatsache, dass nichts so bleiben wird wie es war, die Offenheit Chancen zu erkennen, den Mut diese zu ergreifen sowie die Bereitschaft neue Wege zu gehen und diese zu erproben.

 

Analog zur Arbeitswelt werden sich der urbane Raum, das Wohnen, der Handel und die Gastronomie Schritt für Schritt auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen und darauf reagieren. Dass sich damit in gleichem Maße also das Aussehen von Wohnungen, Wohnanlagen und Stadtquartieren, aber auch von Restaurants und Bibliotheken in Zukunft wesentlich ändern wird liegt auf der Hand.

 

Auch die Architektur muss deshalb neue Antworten auf komplett neue Rahmenbedingungen finden, die sich abseits des bekannten Typenkanons bewegen.

 

Für die Planung neuer Arbeitswelten bedeutet das, dass das visuelle Imitieren der Vorlagen aus Silicon Valley den Herausforderungen spätestens jetzt nicht mehr gerecht wird. Architekten und sogenannte Workplacement-Consulting-Unternehmen die neben ihren Beratungsleistungen meist zugekaufte oder „in-house“ reproduzierbare, kosmetisch aufgehübschte Planungsleistungen anbieten, müssen erkennen, dass die Kombination der zum visuellen Sinnbild neuer Arbeitswelten eingebrannten agoraähnlichen Freitreppe mit farbigen Statistiken und ein paar Mitarbeiterworkshops keine nachhaltig funktionierende Grundlage für eine neue Arbeitswelt sein kann und zu kurz greift. Vielmehr erfordert ein erfolgreicher Transfer der alten in die neue Arbeitswelt das Erarbeiten von gesamtheitlichen Lösungsansätzen die bis in die eigenen „vier Wände“ vordringen.

 

Gefordert ist eine strategische Planung die nicht nur das unmittelbare Arbeitsumfeld berücksichtigt, sondern nach Lösungen einer in die Gesellschaft und den urbanen Raum verflochtenen und integrierten Arbeitswelt sucht. Um agiles unternehmen zu ermöglichen brauchen wir eine „Agile Architektur“, deren Planungsansätze bekannte Denkmuster aufbricht und funktional höchst hybride Konstellationen fördert.

 

Verabschieden wir uns also von Definitionen wie Büro, Wohnung, Hotel oder Restaurant und freuen uns auf eine Zukunft in der wir uns an Orten treffen, die uns an diese alten Freunde erinnern. 

 

* Hadi A. Tandawardaja ist Mitbegründer und Inhaber von SOMAA. Er studierte Architektur an der Universität Stuttgart sowie in der Schweiz an der EPFL Lausanne. Vor Gründung seines Büros arbeitete er in international tätigen Büros in Spanien sowie in Deutschland. Die von ihm verantworteten Bauten wurden unter anderem für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert und mit dem DDC Award für Gute Gestaltung ausgezeichnet und im Deutschen Architekturmuseum ausgestellt. Neben seiner praktischen Tätigkeit lehrte er an der Universität Stuttgart und der HFG Schwäbisch Gmünd. Zudem engagiert er sich als Fachpreisrichter bei internationalen Wettbewerben.

 

 

 

Veröffentlicht am

12 Apr. 2021

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